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Gott & die Welt ... / Literarisch unterwegs in Glaubensfragen


Roger Kammer
Bedient und geführt? Konfliktbewältigung bei kirchlichen Zentralisierungsprozessen


Eine empirische Exploration bei Fusionsprozessen von Kirchengemeinden in der Neuapostolischen Kirche


Inhalt
Die Schließung einer Kirchengemeinde führt regelmäßig zu Konflikten. Oft entladen sich an einem solchen Vorgang aufgestauter Ärger und nicht verarbeitete alte Differenzen. Roger Kammer untersucht die Besonderheit der Konflikte, die mit der Institution Kirche selbst und den Prozessen einer Gemeindeschließung verbunden sind, detailliert und exemplarisch bei der Neuapostolischen Kirche im deutschsprachigen Raum. Dabei berücksichtigt er in besonderem Maße soziologische und religionsgeschichtliche Zusammenhänge. In einem empirischen Teil lässt er Mitglieder aus verschiedenen Regionen der Neuapostolischen Kirche in Westeuropa zu Wort kommen, deren Gemeinde bereits geschlossen wurde. Ihre Erfahrungen verdichtet Kammer zu Antworten auf die Frage, wie dabei entstandene Konflikte aus Sicht der Betroffenen verlaufen. In allen untersuchten Einzelfällen hat sich durch die Schließung das Verhältnis der Betroffenen zu Kirche und Gemeinde verändert. Zumeist haben zudem erhebliche Mängel bei Planung und Durchführung solcher Prozesse und fehlende situationsbezogene Seelsorge die dabei entstehenden Konflikte wesentlich und zudem unnötig verschärft. Im Abschluss gibt Roger Kammer fundierte und konkrete Empfehlungen, wie und in welcher Form die Schließung einer Kirchengemeinde am besten vorbereitet und begleitet werden sollte.


"Konfliktbewältigung bei kirchlichen Zentralisierungsprozessen - Eine empirische Exploration bei Fusionsprozessen von Kirchengemeinden in der Neuapostolischen Kirche". Beim Anblick dieses Untertitels steht dem ein oder anderen Leser vielleicht der Schrecken ins Gesicht geschrieben; nicht wissend, was er in einem Kulturmagazin mit einem solchen Werk anfangen soll. Irgendwie ist es ja auch merkwürdig, gerade hier eine wissenschaftliche Arbeit zu besprechen. Warum tun wir es trotzdem?

Ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht, das Christentum hat unsere Kultur in Europa stärker geprägt als die Aufklärung, die 68er oder die Piratenpartei. Das Aufkommen der Letzteren zeigt jedoch, dass es die heutige Gesellschaft damit nicht mehr so ernst nimmt, wie es zwei Generationen zuvor vielleicht noch getan haben. Die Folge? Leere Kirchen am Sonntag, zurückgehende Einnahmen. Was bei den Großkirchen (noch) nicht so sehr ins Gewicht fällt, kann für kleinere Konfessionen problematisch werden.

Eine solche, kleinere Gemeinschaft ist die Neuapostolische Kirche. Gerade sie ist durch rückläufige Mitgliederzahlen in Europa in den letzten Jahren zu einigen Gemeindeschließungen gezwungen gewesen. In seiner Masterarbeit hat Roger Kammer, selbst Mitglied der Kirche, einige dieser Fälle untersucht. Sein Augenmerk lag hierbei auf den Konfliktpotenzialen, die solche Prozesse bergen - immerhin ist die Gemeinde für den Gläubigen, was für den Matrosen der Heimathafen ist.

Um die teilweise heftigen Reaktionen der Gläubigen zu verstehen, muss erst einmal das System Kirche - hier speziell die neuapostolische Variante - verstanden werden. Das weiß auch der Autor und so beginnt er die Arbeit in den ersten zwei Kapiteln mit einer kurzen Einführung in die Neuapostolische Kirche im Speziellen und Informationen über die Strukturen von Kirchen im Allgemeinen; dann vergleicht er sie mit denen von "Wirtschaftsbetrieben" und "Staatlichen Einrichtungen". Gerade dieser Vergleich trägt zum Verständnis bei, warum in Kirchen einige Dinge anders laufen müssen als in "Wirtschaftsbetrieben". Dieser Abschnitt ist Kammer sehr gut gelungen.

Das dritte Kapitel und der erste Teil des vierten Kapitels sind eher theoretischer Natur. Kammer legt hier die wissenschaftlichen Grundlagen für den eigentlichen Kern seiner Arbeit, eine Einzelfallstudie im zweiten Teil des vierten Kapitels. Dafür hat der Autor mehrere Interviews mit betroffenen Gläubigen geführt, die an einer Gemeindeschließung beteiligt waren. Die Erkenntnisse, die er aus dieser Untersuchung zieht, werden im fünften Kapitel diskutiert und im sechsten daraus ein Fazit erarbeitet, welches relativ ernüchternd ausfällt. Offensichtlich scheint Konfliktmanagement bei der Schließung von Gemeinden nur eine kleine, wenn nicht gar überhaupt keine Rolle zu spielen.

Insgesamt vermittelt die Studie einen interessanten Einblick in Prozesse, denen sich auch die Großkirchen auf Perspektive stellen müssen, wenn ihre Bemühungen zur Wiedergewinnung von Mitgliedern scheitern sollten. Wer also Interesse hat, sich mit dieser Art von Problemen auseinanderzusetzen, dem sei Kammers Untersuchung wärmstens ans Herz gelegt.